Praxisbeispiele // Personalschutz
20.05.2020

Konflikte: Die Wahrheit beginnt immer zu zweit

Keine Frage, die Corona-Pandemie ist für viele Menschen eine belastende Situation. Das zeigt sich z. B. auch an Konflikten am Arbeitsplatz. Diese Konflikte haben meist grundsätzliche Ursachen. Wie man erkennt, was hinter den Konflikten steht und besser mit diesen Situationen umgehen kann, darüber spricht Gerburg Lutter, Mediatorin und Diplom-Sozialpädagogin aus Kiel.

Was sollte man wissen, um am Arbeitsplatz für Konfliktsituationen besser gewappnet zu sein?

Für einen besseren Umgang mit Konflikten ist zunächst einmal das Wissen um Gefühle und mögliche Konfliktreaktionen wichtig: Welches sind meine „Trigger-Punkte“ und lassen mich aus der Haut fahren? Das gehört zur sogenannten Selbstkompetenz. Das bedeutet, die eigenen Bedürfnisse, Stärken und Entwicklungsfelder zu kennen, sich damit auseinanderzusetzen und sich entsprechend Ziele zu setzen und zu verfolgen. Je höher die Kompetenz ist, eigene Gefühlsmuster und Bedürfnisse zu kennen und je mehr man über Konfliktreaktionen weiß, desto handlungsfähiger bleibe ich. Das macht mich sicher und lässt mich konstruktiver reagieren.

Was ist denn für Konflikte allgemein kennzeichnend?

Zwischenmenschliche Konflikte sind zunächst einmal durch Unterschiede im Denken, Wollen und Fühlen zwischen zwei Menschen oder Gruppen gekennzeichnet. Doch nicht die Unterschiede an sich machen den Konflikt, sondern folgende zwei Aspekte: Gibt es für die bestehenden Unterschiede eine Akzeptanz und gibt es eine generelle Bereitschaft, diesen Unterschieden offen und konstruktiv zu begegnen?

Wie hängen die Faktoren Unterschiede, Akzeptanz und Bereitschaft zusammen und was bedeutet das für Konflikte?

Um das zu verdeutlichen, habe ich das auf zwei einfache Formeln mit Plus- und Minuszeichen gebracht. Dabei ist die Unterschiedlichkeit immer ein Faktor:

Unterschiedlichkeit + Akzeptanz + Bereitschaft = Konfliktfreiheit ist möglich.

Unterschiedlichkeit – Akzeptanz – Bereitschaft = eine Konfliktgefahr ist vorhanden.

Daran lässt sich gut erkennen, dass die Unterschiedlichkeit zwar das Kernkennzeichen, aber nicht automatisch der Konflikt ist. Es geht vielmehr um die Frage, wie gehen Menschen mit dieser Unterschiedlichkeit um.

Gibt es auch körperliche Konfliktreaktionen?

Ja, drei Konfliktreaktionen kennen wir alle: Angriff, Flucht oder Schockstarre. Im Konflikt kann das Gehirn vereinfacht gesagt auf „Gefahr“ schalten. Dann reagieren wir automatisiert aus dem limbischen System, einem der ältesten Gehirnareale. Das Gehirn schaltet in den Überlebensmodus und steuert die Versorgung von Muskel- und Herz-Kreislaufsystem. Das „Denken“ steht zurück.

Angriff: Aggressivität und Drohgebärden in Lautstärke und Körperhaltung.

Flucht: Aus dem Zimmer laufen und die Tür zuschlagen.

Schockstarre: wie blockiert sein, bewegungs- und denkunfähig sein.

Das erklärt auch, warum uns erst im Nachhinein häufig klar ist, was wir hätten sagen oder wie wir uns anders hätten verhalten wollen.

Die Unterschiedlichkeit und die körperlichen Reaktionen gelten für alle Konflikte. Was ist zusätzlich für berufliche Konflikte typisch?

Im beruflichen Kontext agieren wir aus unserer professionellen Rolle heraus. Das Thema Rolle ist so wichtig, weil viele berufliche Konflikte durch ungeklärte Rollen entstehen. Als Hygienefachkraft habe ich beispielsweise ein Verständnis, wie ich in dieser Rolle zu agieren habe. Neben diesem Selbstverständnis gibt es auch die Erwartungen der Vorgesetzten und der Kollegen an meine Rolle. Ob das eigene Rollenverständnis über Zuständigkeiten einerseits und die Erwartungen der Vorgesetzten andererseits übereinstimmen – darüber wird oft gar nicht gesprochen und das führt dann zu Konflikten.

Wie lassen sich diese Konflikte zum Rollenverständnis vermeiden?

Grundsätzlich ist es wichtig, sich die Zeit zu nehmen, um Aufgaben und Erwartungen klar abzustimmen. So ist es hilfreich, mit den Vorgesetzten eindeutig abzuklären, wofür ich zuständig bin und was meine Aufgaben sind. Ich muss wissen, was ich in meiner Rolle zu tun und zu lassen habe. Das Abklären der Erwartungen ist entscheidend, um Rollenkonflikte nicht aufkommen zu lassen. In Krisen- und Drucksituationen ist der Faktor Zeit ein knappes Gut. Doch gerade in solchen Situationen kann durch Rollenklarheit effektiv Zeit gespart werden, da Energieverluste – ausgelöst durch Missverständnisse – ausbleiben.

Welche persönlichen Konfliktstrategien sind denn hilfreich?

Für eine gute Konfliktstrategie ist zu beachten: Die Wahrheit beginnt immer zu zweit. Es gibt nicht die eine Wahrheit. Es gibt verschiedene Standpunkte und es gibt mindestens immer eine zweite, dritte oder vierte Wahrheit. Habe ich also einen Standpunkt, den ich mit guten Argumenten belegen kann, kann ich trotzdem offen für den vielleicht gegensätzlichen Standpunkt meines Gegenübers sein. Wenn ich einen Konflikt konstruktiv lösen möchte, hilft die Bereitschaft, mein Gegenüber anzuhören und verstehen zu wollen. Dabei ist es wichtig zu wissen, dass ich den Anderen verstehen kann, ohne einverstanden sein zu müssen.

Aber wie gelangt man denn bei zwei unterschiedlichen Standpunkten zu einer Lösung?

Wenn beide Personen ihre unterschiedlichen Standpunkte gegenseitig akzeptieren, kann man unabhängig davon überlegen, worin das gemeinsame Interesse besteht. Und da finden sich häufig Wege, ohne dass die Standpunkte harmonisiert werden müssen. Aus Standpunkten werden dann Ausgangspunkte zu etwas Neuem. Aus dieser Konstruktivität entsteht oft Etwas, was es vorher nicht gab. Und häufig ist das mehr als der faule Kompromiss, sondern wirklich etwas Neues.

Frau Lutter, wir danken Ihnen für das Gespräch.

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